Ein grober Behandlungsfehler eines Tierarztes führt regelmäßig zu dessen Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden. Dies entschied der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 10. Mai 2016 (Az.: VI ZR 247/15).

Geklagt hatte die ehemalige Eigentümerin eines Hengstes. Bei diesem hatte sie an der Innenseite des rechten hinteren Beines eine Verletzung festgestellt und hatte ihn deswegen in tierärztliche Behandlung gegeben. Der Tierarzt schloss die Wunde und teilte der Klägerin mit, dass das Pferd nach zwei Tagen Schonzeit wieder geritten werden könne. Die Klägerin folgte diesen Anweisungen, stellte aber beim Reitern Taktunreinheiten des verletzten Beines fest, sodass das Pferd erneut in Behandlung gegeben wurde. Dabei wurde dann eine Fraktur der Tibia hinten rechts diagnostiziert, welche auch durch eine Operation nicht mehr behoben werden konnte. Das Pferd musste daraufhin euthanasiert werden.

Die Klägerin behauptete, dass bereits bei der ersten Behandlung eine Fissur des Knochens vorgelegen habe, welche der Tierarzt übersehen habe und welche sich deshalb innerhalb der folgenden Tage zu der Fraktur entwickelt habe. Der Tierarzt habe es behandlungsfehlerhaft unterlassen, eine Lahmheits- und Röntgenuntersuchung durchzuführen, bei der die Fissur hätte erkannt werden können. Sie verlangte deswegen Schadensersatz in Höhe von über 100.000 Euro für das eingeschläferte Pferd.

Rechtlich gesehen haben die Parteien einen tierärztlichen Behandlungsvertrag geschlossen. Verletzt der Tierarzt eine Pflicht aus diesem Vertrag, ist er gemäß § 280 Abs.1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Dass der Tierarzt es unterlassen hatte, eine Lahmheits- und Röntgenuntersuchung durchzuführen, stellt einen groben Behandlungsfehler dar. Weitere Voraussetzung ist allerdings, dass der Behandlungsfehler tatsächlich zu einem Schaden geführt hat. Für einen Behandlungsfehler ohne Auswirkungen, muss kein Schadensersatz geleistet werden. Die Fraktur des Knochens stellt zwar einen Schaden dar, es war allerdings unklar, ob diese tatsächlich ursächlich durch die fehlerhafte Behandlung entstanden ist oder andere Ursachen hatte, beispielweise schon vor der Behandlung durch den Tierarzt vorlag. Weder die Klägerin noch der beklagte Tierarzt konnten eine Kausalität beweisen bzw. widerlegen.

Wenn das Vorliegen tatsächlicher Umstände unklar ist, wird das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen zulasten derjenigen Partei vermutet, welche diesbezüglich die Beweislast trägt. Wenn hier also die Klägerin für die Kausalität die Beweislast trägt und sie nicht darlegen kann, wird vom Gericht vermutet, dass der Behandlungsfehler nicht kausal zu der Fraktur geführt hat. Trägt umgekehrt der Tierarzt die Beweislast und kann sie nicht erfüllen, vermutet das Gericht bei seiner Entscheidung, dass der Behandlungsfehler kausal für die Verletzung war. Es kam wegen der ungeklärten Umstände folglich entscheidend darauf an, wer die Beweislast für die Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Fraktur des Knochens tragen musste.

Grundsätzlich trägt der Anspruchsteller für die anspruchsbegründenden Tatsachen die Beweislast. Verlangt ein Kläger von einer anderen Person Schadensersatz, muss er grundsätzlich beweisen, dass die Umstände, die ihn zum Schadensersatz berechtigen würden, tatsächlich vorliegen. Von diesem Grundsatz gibt es allerdings Ausnahmen. So bestimmt § 630 h Abs.5 BGB für Behandlungsfehler:

„Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung […] herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“

Diese Vorschrift stellt also eine für den Behandelten günstige Beweislastumkehr auf. Wenn die Klägerin sich gegenüber dem Tierarzt auf die Beweislastumkehr berufen könnte, würde das Gericht vermuten, dass der Behandlungsfehler ursächlich für die Fraktur des Pferdes geworden ist und den Tierarzt – bei fehlendem Gegenbeweis – zum Schadensersatz verurteilen. Problematisch war dabei allerdings, ob die Vorschrift des § 630h BGB, welche eigentlich nur für humanärztliche Behandlungsverträge gilt, auch bei tierärztlichen Behandlungsverträgen Anwendung findet.

Der Gerichtshof entschied zugunsten der Klägerin für eine Haftung des Tierarztes. Bei grob fehlerhaften tiermedizinischen Behandlungen seien die gleichen Sachprobleme gegeben wie bei solchen der Humanmedizin. Die Beweislastumkehr solle einen Ausgleich dafür bieten, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist. Gerade bei Tieren liege wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus ein solch breites Spektrum von möglichen Ursachen vor. Der grob fehlerhaft handelnde Tierarzt trage durch einen schwerwiegenden Verstoß Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hinein und vertiefe somit die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten. Somit sei es gerechtfertigt, auch auf tiermedizinische Behandlungsfehler die Kausalitätsvermutung zu erstrecken. Folglich trug der Tierarzt die Beweislast für das Nichtvorliegen der Kausalität, welcher er mangels Gegenbeweisen nicht widerlegen konnte. Somit haftete er der Klägerin auf Schadensersatz für das gestorbene Pferd.

Haben Sie Fragen zu dem Fall oder haben auch Sie Probleme mit einer ärztlichen Behandlung? Unsere Anwälte stehen Ihnen insbesondere im Schadensrecht gerne jederzeit beratend zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!

 

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