Das Amtsgericht Hannover hat jüngst in mehreren Verfahren (Az.: 406 C 11567/16; 506 C 13129/16; 506 C 12786/16; 506 C 12424/16; 506 C 13360/16; 406 C 839/17; 406 C 286/17; 406 C 1118/17) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Rechtsfragen im Zusammenhang mit Flugausfällen und- Verspätungen in den Herbstferien 2016 zur Vorabentscheidung vorgelegt. Im Kern geht es um die Frage, ob massenhafte Krankmeldungen von Mitarbeiter eines Flugreiseanbieters einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechte-Verordnung (FluggastrechteVO) darstellen. Von der Entscheidung könnte das Schicksal von Entschädigungsansprüchen zahlreicher Passagiere abhängen.

Krankheitswelle führte zu zahlreichen Flugausfällen

Hintergrund der Streitigkeiten ist die Annullierung- und Verspätung von zahlreichen Flügen im Zusammenhang mit einer Krankheitswelle bei einer großen deutschen Fluggesellschaft. Dort hatte sich im Oktober 2016 ein Großteil der Piloten und Flugbegleiter krankgemeldet, wohl um im Rahmen eines so genannten „wilden Streiks“ Druck auf die Unternehmensführung auszuüben. Dies führte zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten im Flugplan und Frustration bei vielen betroffenen Reisenden.

Entschädigungsansprüche bei Verspätungen

Grundsätzlich steht Passagieren bei Annullierungen oder großen Verspätungen ihrer Flüge ein Recht auf Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen zu. Gemäß der FluggastrechteVO steht den Passagieren im Regelfall eine Entschädigung von bis zu 600,- Euro pro Person zu, welche in der Höhe abhängig von bestimmten Faktoren wie etwa der Länge der Flugstrecke ist.

Nur ausnahmsweise kann sich das ausführende Luftfahrtunternehmen von seiner Haftung gegenüber den Passagieren befreien, wenn es beweisen kann, dass die Annullierung bzw. Verspätung auf einen sogenannten „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs.3 der FluggastrechteVO zurückzuführen ist. Darunter versteht man allgemein Vorkommnisse, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind, wie beispielsweise Naturkatastrophen, versteckte Fabrikationsfehler oder terroristische Sabotageakte (vgl. dazu bereits EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az.: C-549/07).

Ob ein solcher, außergewöhnlicher Umstand bei den massenhaften Krankmeldungen des Personals anzunehmen ist, ist nun Gegenstand der Vorlagebeschlüsse des Amtsgerichts Hannover beim EuGH.

Vorabentscheidungsverfahren des EuGH

Gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) entscheidet der EuGH auf Vorlage eines nationalen Gerichts im Wege der Vorabentscheidung unter anderem über die Gültigkeit und Auslegung von Europäischem Sekundärrecht, zu welchem auch die FluggastrechteVO gehört. Stellt sich einem nationalen Gericht, wie vorliegend dem Amtsgericht Hannover, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine entsprechende Auslegungsfrage von europäischen Recht, kann es also sein Verfahren vorrübergehend aussetzen und die Frage vorab zur Entscheidung dem EuGH vorlegen. Nachdem eine Entscheidung gefallen ist, kann das nationale Gericht dann unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des EuGH sein Verfahren fortführen. Dadurch soll die Rechtseinheit zwischen der nationalen und europäischen Gerichtsbarkeit gewährleistet werden.

Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht Hannover dem EuGH gleich mehrere Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Zuerst einmal soll entschieden werden, ob die Abwesenheit eines erheblichen Teils des Personals eines ausführenden Luftfahrtunternehmens aufgrund von Krankmeldungen einen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Sollte dies der Fall sein, gilt es zu ermitteln, wie hoch die Abwesenheitsquote für eine entsprechende Einschätzung sein muss.

Stelle die krankheitsbedingte Abwesenheit hingegen keinen außergewöhnlichen Umstand dar, sei zu klären, ob die Abwesenheit eines Großteils des Personals im Rahmen einer arbeits- und tarifrechtlich nicht legitimierten Arbeitsniederlegung („wilder Streik“) einen außergewöhnlichen Umstand darstellt und welche Abwesenheitsquote hierfür gegebenenfalls erforderlich ist.

Des Weiteren sei zu klären, ob ein solcher außergewöhnlicher Umstand beim annullierten Flug selbst vorgelegen haben muss, oder ob das Luftfahrtunternehmen auch berechtigt ist, bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen einen neuen Flugplan aufzustellen.

Darüber hinaus möchte das Amtsgericht Hannover wissen, ob es für die Haftungsbefreiung des Luftfahrtunternehmens auf die Vermeidbarkeit oder aber auf die Folgen des Eintritts eines außergewöhnlichen Umstandes ankomme.

Was betroffene Passagiere jetzt tun können

Ein durchschnittliches Verfahren vor dem EuGH dauert circa 18 Monate. Für die Dauer dieses Verfahrens ruhen auch alle anderen diesbezüglichen Verfahren vor anderen Gerichten. Wer bereits seine Ansprüche eingeklagt hat, kann jetzt nur auf das Ende des Verfahrens vor dem EuGH warten. Wer seine Ansprüche hingegen noch nicht geltend gemacht hat, sollte sich über das beste Vorgehen anwaltlich beraten lassen. Unsere auf Fluggastrechte spezialisierten Anwälte informieren Sie diesbezüglich gerne jederzeit. Kontaktieren Sie uns!

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